Montag, 30. August 2010

Gottesdienst zu unserer Lincolnreise

„Hören auf die Bibel in Lincoln und Luzern“

Gottesdienst in der Matthäuskirche Luzern, 29. August 2010, 10 Uhr
Beat Hänni, Pfarrer;
Matthäus-Kantorei unter Leitung von Stephen Smith


Eingangsmusik: Psalm 95
Eingangslied: 565,1-4 (Die güldene Sonne)
Taufe
Lied der 2. Klässler
Taufgebet
Tauflied: 178,1-3

Schriftlesungen: Hebräerbrief 1,1-4 und 2,1-4

Kantorei: Psalm 19

Predigt zu Jesajabuch 40.8
„Das Gras vertrocknet, die Blume verwelkt,
das Wort unseres Gottes aber besteht für immer“. Amen


Liebe Gemeinde,
Als im Jahre 587 v. Chr. Jerusalem von den Babyloniern erobert wurde und die Oberschicht von Judäa nach Babylon ins Exil geführt wurde, kam bei ihnen Zweifel auf: „Darf man den Versprechen Gottes, uns zu behüten, Glauben schenken, oder sollen wir uns auf etwas anderes verlassen?“ Da musste der Prophet sie stärken. Er sagte: „Das Gras vertrocknet, die Blume verwelkt, das Wort unseres Gottes aber besteht für immer“.
Dieses Wort ging mir in Lincoln immer wieder durch den Kopf, als wir eine Woche lang in der Kathedrale die Architektur auf uns wirken liessen, Gottesdienste feierten, die Kantorei Psalmen einstudierte und kunstvoll geistliche Gesänge vortrug! Das wurde zu einem tiefen Erlebnis! Es geht eine besondere Kraft daraus hervor!

Jeden Tag probte die Kantorei vier Stunden lang, schliff an den Psalm-gesängen und Chorstücken die feinsten Details heraus! Damit sie dann um 17.30 Uhr gut vorbereitet waren für den Evensong. Am Sonntag sang die Kantorei gleich in drei Gottesdiensten! Hohe Anforderungen und höchste Leistung! Die Mitarbeitenden der Kathedrale und die Gemeindemitglieder sagten: Sie hätten schon lange nicht mehr einen so guten Gastchor in Lincoln gehabt wie die Matthäuskantorei.

Seit 900 Jahren ertönen dort täglich Psalmen und Lieder; wird die Bibel vorgelesen, wird ganz persönlich gebetet; für diesen und jenen; auch für schon lange verstorbene Bischöfe und wichtige Mitarbeitende dieser Kathedrale; bis ins 12. Jahrhundert zurück, komischerweise meistens für Männer. - Das geschieht in streng vorgegebenen Formen. Für uns nüchterne Schweizer wirkte das etwas skurril und schräg: so hochkirchlich, so liturgisch durchstrukturiert. Und doch kam ich immer mehr hinein. Ich staunte als Vertreter der reformierten Kirche, einer Kirche des Wortes, wie ehrfurchtsvoll in den anglikanischen Gottesdiensten das Wort Gottes gepflegt wird; wie sorgfältig auf das Wort gehört wird; in gesprochener und gesungener Form. Alles dient dem Wort: Die Lesungen aus der hebräischen und griechischen Bibel bringen nach bestimmter Ordnung über die Monate hindurch die wichtigen Texte der Bibel zur Sprache. Innerhalb von drei Monaten werden alle 150 Psalmen in den Evensongs gesungen; wie wir es vorhin von der Kantorei gehört haben. Im Chorgestühl sind die Namen der Bezirksvorsteher eingeschrieben; darunter die Anfangsworte von 1-3 Psalmen: Denn sie haben die Aufgabe übernommen, diese Psalmen täglich an ihrem Wohnsitz zu beten. So hat die Diözese Gewähr, dass jeden Tag alle Psalmen gebetet werden. Ist das fast ein magisches Bibelverständnis? Aber es ist nahe beim Reformator Johannes Calvin, der sagte: Man findet keine besseren Lieder als die Psalmen. „Wenn wir sie singen, sind wir sicher, dass Gott uns die Worte in den Mund gelegt, so als ob er selbst in uns sänge, um seine Ehre zu erhöhen“ (CStA. 2,159). In Lincoln holt der Sigrist mit dem Szepter den Lektor an seinem Platz ab. Beide verneigten sich vor einander; höchst respektvoll. Dann begleitet der Sigrist den Lektor zum Lesepult; dort verneigen sie sich wieder vor einander, und dann besteigt der Lektor das Lesepult, das die Form eines Adlers hat; mit ausgespannten Flügeln: darauf liegt die Bibel zum Lesen bereit. Der stärkste Vogel trägt die Bibel! Dann werden die Bibellesungen durch Chorgesänge vertieft und erhöht…; über Mendelsohn bis zu Rachmaniov und Albright!
Als ich nach dem vierten Evensongs die Mitglieder der Kantorei fragte: „Wie geht es Euch mit diesen Gottesdiensten? Lohnt es sich, 4 Stunden zu proben, und es kommen an einem Werktagabend etwa 30-40 Zuhörer?“ Da sagte jemand aus dem Chor – und ich vermute, sie sprach für den ganzen Chor: „Da geht es um etwas ganz anderes. Da wird gesungen. Das ist an sich schön und würdig! Und es rührt höhere Saiten an!“ Seit 900 Jahren! Nur als 1644 der Puritaner Oliver Cromwell einfiel und seine Soldaten den Statuen in der Kathedrale die Köpfe abschlugen und in die farbigen Glasfenster schossen, wurde das Wort Gottes 17 Jahre lang nicht mehr so gelesen; und die Psalmen nicht mehr so gesungen.
Auch heute ist die Liturgie gefährdet. Ein Priester sagte mir: vor 7 Jahren war die Kathedrale ein Museum. Heute lebt sie! Das erlebte auch die Kantorei.
Ein Chormitglied schrieb mir: „Wir wurden fast süchtig“!
- süchtig nach geistlichem Gesang“! Ich möchte es so verstehen: "sehnsüchtig" nach einer anderen, schöneren Welt; nach Vollendung und Reinheit; vorab in der Musik; und von da aus im Leben und Zusammen-leben; bis zur Gestaltung unserer Städte und Dörfer. So nimmt der Gottesdienst etwas von der Vollendung der Welt vorweg. Er stimmt diese Welt ein auf ihr Ziel hin und gibt jedem Tag, jeder Stunde eine besondere Ausrichtung und Würde. So sind die Kathedralen Englands: „Die Säulen der Erde“ (wie Ken Follett sie im Titel seines Romans nennt). Wo so gesungen wird; wo das göttliche Wort ertönt, wo gebetet wird, - sicher vermischt mit Prestigedenken und Ehrsucht – aber doch andererseits auch echt: dort wird die Erde getragen. Viel Schönes in der Welt vergeht; aber in Gottes Wort kommt eine andere Qualität in diese Welt, die diese Welt trägt.

Liebe Kantorei, liebe Matthäusgemeinde, liebe Gäste
Verstehen Sie mich recht: Ich meine nicht, dass wir in der Matthäuskirche nun auch hochkirchliche Gottesdienste feiern müssten. Unsere Gottes-dienste haben einen anderen Wert; sie haben eine andere Spontaneität; sie leben von der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Bibeltext;
Sie sind persönlich, vielfältig und frei. Die Matthäuskirche ist keine Kathedrale und hat eine andere Funktion. Aber die Woche als Kirchenmaus in der Kathedrale von Lincoln hat mir eine neue Seite der weltweiten Kirche gezeigt! Sie hat mich die Ehrfurcht vor dem biblischen Wort auf neue Art erfahren lassen. Ich habe gelernt, dass wir einen Bibeltext lesen und geniessen dürfen, auch wenn wir nicht alles darin verstehen: zum Beispiel in einem Rachepsalm! Die Kantorei musste Psalm 18 singen: Darin wird Gott gebeten, unsere Feinde zu vernichten. Im Rahmen von Lincoln konnten sie das singen; sie waren befreit davon, jedes Wort zu wägen und zu beurteilen. Wir Reformierten dürfen selber denken… Wir meinen aber dann, wir müssten das biblische Wort selber beurteilen. So setzen wir uns unter Druck und so stellen uns über das biblische Wort; statt darunter! In den Evensongs konnte man es einfach stehen lassen, wie es ist; vielleicht unzeitgemäss; vielleicht überholt… - Es wird sich schon erweisen, ob es überholt oder doch auf ungeahnte Weise irgendeinmal wieder aktuell sein wird. Das biblische Wort ist ja nicht in jedem Buchstaben Gottes Wort; aber es kann es jederzeit werden!!
Und ich weiss nun: In Lincoln – sowie auch in Taizé oder Einsiedeln -singen sie täglich die Psalmen, hören die biblischen Texte und beten. So tun sie einen wichtigen Dienst. Sie helfen, die Welt zu tragen. Wir haben durch das biblische Wort an der Schönheit Gottes teil, die darin schon ertönt und Wirklichkeit wird.
Vieles in der Welt wird weichen müssen oder wird geläutert werden durch den Lauf der Zeit … Sogar das biblische Wort. Aber dort, wo es Gottes Wort ist, bleibt es alle Zeit. Wir können uns auf vieles verlassen im Leben … Wo wir uns aber auf das biblische Wort verlassen und uns nach ihm richten, werden wir mit ihm bleiben. Amen

Kantorei: Psalm 16 (Behüte mich, Gott, denn bei dir Suche ich Zuflucht)

Fürbitte

Lied: 257,1-7 (Walte, walte nah und fern)

Segen
Darum wollen ... auch wir, die wir von einer solchen Wolke von Zeugen umgeben sind, alle Last ablegen und die Sünde, die uns so leicht umgarnt.
Wir wollen mit Ausdauer laufen in dem Wettlauf, der noch vor uns liegt, und hinschauen auf den, der unsrem Glauben vorangeht und ihn vollendet, auf Jesus" (Hebr. 12,1).

Gottes Segen sei mit Euch auf dem Pfad Eures Lebens,
bei Euren Aufgaben in Beziehung und Beruf,
bei Euren Entscheidungen, die Ihr täglich trefft,
bei jedem Schritt, den Ihr ins Unbekannte tut.

Gott segne Euch und behüte Euch! Amen

Schlussmusik der Kantorei: "Holy Spirit, Truth divine"

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